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Mobilität bestimmt, was eine Gemeinde ist

Foto: Matt Quinn via Unsplash

Fußgänger:innen bildeten die Gemeinden. Der Autoverkehr löst ihre Strukturen von innen und außen auf. Eine Einleitung zum Thema Gemeinde und Mobilität.

Em. O. Univ. Prof. DI Dr. techn. Hermann Knoflacher

Techniker, Zivilingenieur im Forschungsbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, TU Wien
Foto: Fotostudio Huger

Mobilitätsdiskussionen werden nahezu immer von einem festen Blick in die Zukunft bestimmt, mit der Erwartung einer Fortsetzung des Gewohnten. In der Realität befinden sich die Gemeinden seit Mitte des letzten Jahrhunderts in einem Veränderungsprozess wie nie zuvor. Sie verlieren ihre lokalen Wirtschaftsstrukturen und stehen im Konkurrenzkampf, der über Einwohnerzahlen und Finanzausgleich geführt wird. Ihre einstigen über Jahrhunderte eingerichteten territorialen Grenzen werden mit der Raumwirkung des optimierten Autoverkehrs bedeutungslos, Strukturen, die nicht an den Raum gebunden sind, entstehen. Es gibt mehr Verlierer als Gewinner, wenn der öffentliche Raum den Menschen, die Fußgänger:innen sind, entzogen wird, innen die Widerstände zunehmen und nach außen hin abnehmen – dank billiger Energie und bestehender verkehrsbezogener Bauordnungen. Die Folgen des durch die rasche allgemeine Motorisierung geradezu explodierenden Aufwandes für öffentliche und individuelle räumliche Mobilität wurden nicht nur nicht erkannt, sondern finanziell und organisatorisch gefördert. 

Wer aus der Vergangenheit nicht lernt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten. Das gilt auch für die Gemeinden. Dies führt zur Frage, warum es in Österreich bei einer Landfläche von rund 84.000 Quadratkilometern zu rund 2.100 Gemeinden (heute) kam. Der Mittelwert der Gemeindefläche beträgt rund 40 Quadratkilometer und ergibt, wenn man sich diese als Kreis vorstellt, einen Radius von
3,6 Kilometern – eine Stunde Gehzeit für Menschen. Da die Wege nicht gerade sind, entsprechend mehr, was zur Siedlungsbildung zwingt, weil die regelmäßigen Tageswege im Durchschnitt bei weniger als acht Minuten liegen. Bei einer Geschwindigkeit von 36 Stundenkilometern mit dem Pkw sind das 4,8 Kilometer, womit die mittleren Gemeindegrenzen mühelos überschritten sind. Bei 60 Stundenkilometern, im ländlichen Bereich leicht möglich, sind das acht Kilometer. In einem derart fluiden System ergeben sich ideale Möglichkeiten für die großen Beutegreifer unserer Zeit – die Konzerne – Gemeinden zu erpressen.

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